In unserer Serie Kulturhanse-Expeditionen stellen wir euch ausgewählte Auszüge aus unserer Publikation vor. Dies sind spannende Themen, Analysen, Ideen und Erkenntnisse auf unserem Weg. Nach fünf Jahren der gemeinsamen Reise in der Kulturhanse trugen die drei Leuchttürme im Sommer 2021 in drei Werkstätten ihre Erfahrungen zusammen. Im Folgenden erzählen euch Lorenz vom ahoj Görlitz, welche Stürme sie meisterten, welche Schätze sie hoben, sprich: wie er und seine Organisation sich über die Zeit veränderten.
von Friederike Günther
Vom Macher zum Ermöglicher
Der Schmetterling landet
„In meinen ersten fünf Jahren in Görlitz warfen mir manchmal Leute vor, ich sei wie ein Schmetterling. Weil ich alles Mögliche ausprobierte, aber nirgends so richtig landete. Mit der Gründung des K5, einem Kollektiv freiberuflicher Freund*innen im Kultur- und Eventbereich, änderte sich das. Aber hier hatten wir uns immer von einem Projekt zum nächsten
gehangelt. Das wollte ich ändern, mich einfach fokussieren. Die Entscheidung, das Gründungslabor aufzumachen, hat mir geholfen mich thematisch zu bündeln und umzusortieren.
Und damit war ich auch vom Nehmer zum Geber geworden. Was heißt ‚zum Geber‘ geworden? Wir erhielten von der Görlitzer Kulturszene viel Support während der Gründung von K5. Ich insbesondere von Birgit Belte vom Verein Ideenfluss e.V., der spätere Träger des ahoj » Die drei Leuchttürme, S. 102ff. Dabei erkannte ich, dass sie damals mit ihrem Verein wie ein Gründungslabor für mich war, uns Raum und Unterstützung gab. Mit dem Entschluss, den ahoj-Laden aufzumachen, legten wir unser Überall-und-Nirgends- Sein ab, wurden sichtbar, ansprechbar und hatten uns festgelegt. Das war indirekt natürlich auch ein Bekenntnis zum Bleiben. Und aus unserer Sicht die Chance, der Szene etwas zurückzugeben.“
Eine Kulturhanse, damit mehr Menschen im ländlichen Osten gut leben können.
Mit unserer Projektpublikation, den Kulturhanse-Expeditionen reisen wir auf 182 Seiten noch einmal durch die ersten fünf Jahre der Kulturhanse. Fünf Jahre, in denen wir versuchten, gemeinwohlorientierte Gründungslabore und Ökosysteme jenseits großer Städte in Ostdeutschland zu initiieren. Fünf Jahre, in denen wir die Macher*innen vor Ort ermutigten, stärkten, lokal und regional mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft vernetzten.
Im Ökosystem nähren und dem Kokon entwachsen
„Zunächst einmal war das eine grundsätzliche Entscheidung, das Gründungslabor zu starten. Überhaupt war der Besuch von Dagmar Schmidt und das Kulturhanse-Team die Auslöser. Allein euer Aufruf und das persönliche Kennenlernen hat mir die Augen geöffnet: Krass, solche Konzepte und Modelle gibt es wirklich? So was bräuchte es bei uns auch! Auf so eine Lösung wären wir von selbst gar nicht gekommen, geschweige denn es Gründungslabor zu nennen. Uns ging es von Anfang an nicht darum, ein Franchise von der Werft34, dem Gründungslabor der Erfurter Crew, zu werden, sondern ein eigenes lokales Entwicklungsvorhaben zu starten. Uns war ziemlich klar, dass es die Kunst sein würde, das Erfurter Modell für Görlitz zu reinterpretieren. Warum sollte auch eine Großstadtlösung in Görlitz funktionieren? Wir wollten etwas Eigenes schaffen – was Eigenes, das aber auch genauso gut anderen hilft, wie das Vorbildprojekt. Meine Befürchtung war anfangs, dass wir uns mit einem ‚Unter-
stützungsangebot‘ über die Leute stellen – weil wir Hilfsangebote machten, würden die an- deren damit zu Bedürftigen. Gleichzeitig gründeten wir ja selber und brauchten auch Unterstützung. Wir haben deshalb immer betont, dass wir gerade selbst erst lernen, wie es funktionieren kann und bereit sind, das mit den ersten Gründer*innen zusammen zu tun. ‚Gemeinsam‘ wollten wir es angehen – auf Augenhöhe. Aus der ersten Not, zum Selbstversuch, zum Prinzip – so haben wir eigentlich die ersten Jahre alles ‚by doing‘ iterativ erlernt. Daraus entstanden auch unserer Prinzipien →
– die 4 G: Görlitz. Gemeinwohl. Gemeinsam. Gestalten. Zum Glück hatten wir unsere zwei ‚Mentorinnen‘ Julia Gabler und Birgit Beltle und regelmäßige Treffen zur Reflexion und mit Gleichgesinnten wie in den Kulturhanse-Werkstätten. Aber auch Martin von der Kulturhanse hat uns dabei geholfen, dass Gründungslabor-Programm auf die Beine zu stellen. Auch dass er vor Ort war, für uns und die Gründer*innen einen Teil der ersten Workshops in unseren Werkstätten gegeben hat, war eine große Hilfe. Die Erfahrungen mit ihm konnten wir für unsere nächsten Stipendiumsdurchgänge als Matrize nehmen.
Außerdem war da noch unserer damaliger Träger: der Second Attempt e.V. Der Verein war für ein soziokulturelles Jugendzentrum und viele verschiedene Projekte in der Stadt mitverantwortlich. Manche Projekte in Görlitz überlebten nur, weil der Second Attempt e.V. die Trägerschaft für ihre Vorhaben übernahm. Und gleichzeitig hatten sie eben in ihrem Konzept auch die Idee eines Gründungslabors ↵
mit drinnen, aber keine Kapazitäten, das umzusetzen. Und das war eine ganz günstige Gelegenheit: Wir als K5 hatten uns die inhaltliche Expertise während der Kulturhanse-Werkstätten erarbeitet, um ein Gründungslabor programmatisch zu konzipieren und umzusetzen. Second Attempt hatte die Ressourcen, um einen Teil unserer ersten Arbeitsstellen zu bezahlen.
Da wir wussten, dass es später das gesamte Ökosystem braucht, wollten wir niemanden aus der Szene verprellen. Deshalb fragten wir uns und die anderen: Wollen wir das zusammen machen? Braucht es wirklich einen weiteren, einen eigenen Ort oder sollen wir uns irgendwo ranhängen? Kann das die überschaubare, stark am Limit ihrer ehrenamtlichen Möglichkeiten agierende Kulturszene Görlitz schaffen? Denn wir würden mit dem ahoj möglicherweise Energien abziehen, die wir sonst in andere Projekte investiert hätten. Mit unseren beiden Mentorinnen Birgit und Julia ging ich zu vielen Leuten und passte unser Gründungslabor an ihren Bedarf an. Das machten wir auch mit der Stadt. Es sollte ein kokreativer Prozess werden.
Dadurch nahmen wir eine neue Rolle zwischen den Akteur*innen ein. Wir brachten wirtschaftliche Themen in eine größtenteils ehrenamtliche Szene. Ich merkte langsam, dass wir begannen ein Versprechen zu machen und bekam das Gefühl, dass es eine*n geben muss, der*die die Verantwortung für diesen Prozess übernimmt. Klar machten wir das Gründungslabor nicht für uns selbst, sondern für die anderen, aber es war wichtig, dass jede*r zu sich zu sagen kann: Ich habe so viel Sicherheit in mir, dass ich das jetzt einfach mal mache, und Vertrauen, dass die anderen dann auf uns zukommen und andocken. Wir mussten uns entscheiden – ob wir das Versprechen wirklich angehen und einlösen wollen.“
Flügge werden
„Über die fünf Jahre in der Kulturhanse waren wir nicht mehr die Gleichen wie am Anfang. Von Macher*innen zu Ermöglicher*innen zu werden, änderte für uns alles: Vorher machte jede*r sein*ihr Ding und jetzt hieß es: Seid ihr bereit mit Raum und Leuten Andere zu unterstützen? Als wir die Entscheidung für das Gründungslabor trafen, waren wir ein Kollektiv von Freund*innen, die sich blind vertrauten. Als wir miteinander anfingen zu arbeiten, waren wir uns sicher, dass jede*r das ‚Richtige‘ tut, weil wir ja dieselbe Vision teilten. Niemand hat genau geschaut, wieviel und was jede*r so genau macht. Aber manchmal sind die Vorstellungen, die man hat, noch gar nicht so verbalisierbar. Und was ist, wenn die dann auseinander laufen, man aber gar nicht so richtig weiß, wo der Hund begraben liegt?
Plötzlich waren wir Arbeitgeber*in untereinander: Verantwortlichkeiten abstecken und kontrollieren, Mitarbeiter*innen einarbeiten und ‚führen‘, Urlaubstage eintragen und so weiter. Der ‚alte‘ Kern wollte weitermachen wie bisher: Selbstverantwortlich, eigenorgansiert und ohne Hierarchie. Mit der Erweiterung des Teams aber gab es Leute, die Arbeitnehmer*in sein wollten. Wir spürten am Anfang einen starken inneren Widerstand. Da kam so eine Unwucht rein, die uns manchmal überforderte. Nicht nur innerhalb des Teams, sondern auch in Bezug auf die Arbeit mit den Gründer*innen. Jede*r von uns versuchte sich in einer professionellen Begleiter*innenrolle für die Gründer*innen. Die Gründer*innen waren ja teils unsere Bekannten, Bestandteil der Szene. Wie konnten wir genug professionellen Abstand finden, um nicht ihre Probleme zu unseren zu machen? Was waren ihre Erwartungen an uns und welche waren wir bereit zu erfüllen?
Jede*r ist mit den Herausforderungen beim Aufbau des Gründungslabors unterschiedlich umgegangen. Erstmal hieß die Devise ausprobieren, aushalten und durchhalten, dann irgendwie klären, was die eigene, was die andere Sicht ist und versuchen damit zu arbeiten. Zunächst dachten wir, die Arbeitsweise sei das Problem. Das hieß bei uns zum Beispiel sowas ähnliches wie Scrum einzuführen, Aufgaben anders zu verteilen. Bis wir dann feststellten, dass es einfach auch eine ganz schön anstrengende Aufbauphase ist und wir uns gegenseitig einfach oft nicht ausreichend gesehen und wertgeschätzt hatten.“
Der Blick zurück: Was hat sich alles getan?
„Die haben ihre Aufbau-Hausaufgaben erledigt‘, sagen unsere Bekannten aus der Görlitzer Kultur- und Kreativ-Szene. Wir betreiben einen Laden als Anlauf- stelle und haben laufend mit Gründer*innen zu tun. Bei uns hat sich die Zusammensetzung der Crew in der Zwischenzeit schon viermal geändert – das hat uns viel Zeit und Kraft gekostet. Erstaunlich ist, dass das Unterstützungsprogramm und die Prinzipien, die wir aufgebaut haben, mittlerweile unsere ‚Konstante‘ sind. Kolleg*innen färbten die Inhalte und brachten eigene Vorschläge ein, aber wir haben eine Grundstruktur im ahoj, die sich durchzieht. Was am Anfang schwer verbalisierbar war und mit vielen Unsicherheiten ausprobiert werden musste, ist heute manchmal die Sicherheit,
auf die wir uns verlassen. Gelernt haben wir auch, dass viele andere im ‚Gründungsökosystem Lausitz‘ auch nur mit Wasser kochen, finanziell meist gar nicht so viel besser aufgestellt sind wie wir. Institutionen hängen so sehr an einzelnen Personen, dass mit guten Leuten auch gute Partnerschaften schnell verschwinden können. Wir haben uns deshalb auch getraut, einige unserer Partner*innen und Gründer*innen-Alumni zu fragen, ob sie mit ins sogenannte ‚ahoj kollektiv‘ wollen. Damit wollen wir mehr Leuten die Mitwirkung beispielsweise in der Jury-Arbeit ermöglichen.“
Andocken
Gern organisieren wir solche Formate bei dir vor Ort. Sprecht uns gern an, wenn wir Euch bei der nachhaltigen Entwicklung eures gemeinwohlorientierten Ortes unterstützen sollen. Meldet euch unter: rike@kulturhanse.org.
Wissenstransfer
Wir geben unser Wissen gern weiter, z.B. in Vorträgen, Impulsen, Workshops, Trainings, Weiterbildungen zu Themen wie: Was brauchen Social Entrepreneure auf dem Land? Wie verwandelt man Leerstand in einen Ort aktiven bürgerschaftlichen Engagements?
Begleitung & Coaching
Ob Organisations- oder/und Regionalentwicklung – wir begleiten euch dabei Lösungen für eure konkreten lokalen, regionalen Problemstellungen zu entwickeln.
Werkstattprogramm
Neben maßgeschneiderten Prozessen bieten wir die Kulturhanse-Akademie, ein Werkstattprogramm in einem strukturierten, kollegialen Rahmen. Bereits in zwei Jahrgängen konnten wir uns vom Erfolg des Zusammenspiels zwischen Qualifizierung, Raum- und Laborentwicklung und Inspirationsreise überzeugen.
Vernetzungs
veranstaltungen
Unser Kulturhanse-Netzwerk bringen wir in Konferenzen, Camps und anderen Peerformaten zusammen. Im Austausch mit anderen Macher*innen, Stakeholdern und Entscheidungsträger
*innen lässt sich Inspiration und Mut für das eigene Vorhaben schöpfen.